Pressemitteilung vom 20. Oktober 2023

Interview mit dem Geschäftsführer des Deutschen Spendenrates e. V., Martin Wulff, über die aktuelle Situation im Spendenwesen und das Spendenverhalten im Zeitraum Jan. – Aug. 2023

Martin Wulff
Martin Wulff, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrates e. V.

Engagement gewinnt an Bedeutung

„Wir gehen davon aus, dass sich staatliche Hilfen künftig vermehrt auf Pflichtaufgaben beschränken werden“ – Interview mit Martin Wulff, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrates

Der Deutsche Spendenrat feiert sein 30-jähriges Jubiläum. Über das Spenden in Zeiten von Inflation und Krisen, Digitalisierung im Spendenwesen und die Zukunft bürgerschaftlichen Engagements sprachen wir mit Martin Wulff, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrates.

Herr Wulff, können Sie sich an Ihre erste eigene Spende erinnern? Seit wann begleitet Sie das Thema Spenden persönlich?

Ja, meine erste Spende in jungen Jahren war für „Brot für die Welt“. Bis heute habe ich beruflich mit dem Thema Spenden zu tun, denn ich war für eine spendensammelnde Organisation tätig.

Was bewegt aus Ihrer Sicht Menschen in Zeiten von Inflation und Dauer-Krisen überhaupt dazu zu spenden?

Die Menschen wollen Gutes tun und sie wollen sich dabei nicht selbst in den Vordergrund stellen. Im Hintergrund zu bleiben, das funktioniert beim Geldspenden im Vergleich etwa zum ehrenamtlichen Engagement, wo man vor Ort präsent ist, auch ganz gut. Viele Menschen bewegt es, wenn sie von akuten Krisen erfahren, da wollen sie gern helfen und unterstützen.

Wie hat sich die Spendenfreudigkeit in den vergangenen Jahren entwickelt?

Das Spendenaufkommen ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Wir sehen immer wieder, dass während großer Krisen mehr gespendet wird. Das ist auch nicht verwunderlich: Denn meist gibt es Sondersendungen im Fernsehen, Spendengalas und viele weitere Informationen. In jüngerer Vergangenheit sehen wir jedoch, dass es weniger Menschen werden, die spenden. Die größte Spendenbereitschaft erleben wir bei der Generation 70plus.

Wie unterstützt der Deutsche Spendenrat die Spenderinnen und Spender dabei, im Dschungel der Spendenorganisationen die passenden Spendeninhalte und Formen zu finden?

Das machen wir vor allem über unser Spendenzertifikat. Im Deutschen Spendenrat sind spendensammelnde Organisationen versammelt, die harten Prüfkriterien unterliegen: Dazu gehören Gemeinnützigkeit und absolute Transparenz darüber, wie die eingegangenen Spenden verwendet werden. Außerdem einen uns ethische Grundsätze. Wir achten darauf, dass bei der Werbung unserer Mitglieder die Menschenwürde der Opfer und Betroffenen gewahrt bleibt. Wir verstehen uns also als Spendenkompass: Die Spenderinnen und Spender können bei uns schauen, welche Organisation als vertrauenswürdig eingeschätzt wird.

Der Deutsche Spendenrat stellt nicht nur Zertifikate aus, er ist auch Lobbyverband. Was bedeutet es heute, Lobby für Spendenorganisationen und Millionen von Spenderinnen und Spendern zu sein?

Ein Lobbyverband zu sein heißt, dass wir die Interessen unserer Mitgliedsorganisationen vertreten, aber auch insgesamt immer mehr die Bedeutung des Spendens zum Ausdruck bringen. Wir gehen davon aus, dass sich staatliche Hilfen zunehmend auf Pflichtaufgaben beschränken und dass freiwillige oder andere Aufgaben durch private Personen und Initiativen übernommen werden. Deshalb wird das bürgerschaftliche Engagement noch an Bedeutung gewinnen. Es ist immer wieder notwendig, darauf aufmerksam zu machen.

Im Zuge der Digitalisierung sind neue Formen entstanden, Geld zu spenden und zu sammeln: über Crowdfunding beispielsweise oder durch Mitgliedschaft in Genossenschaften. Inzwischen wird auch über paypal gespendet und nicht nur mit der klassischen Überweisung. Wie stellen sich die Mitgliedsorganisationen des Deutschen Spendenrates darauf ein und wie können Sie als Dachverband dabei unterstützen?

Wir können Mut machen, den digitalen Wandel umzusetzen. Aber unsere Organisationen sind da sehr innovativ tätig. Aus Sicht der Spender müssen wir ein Augenmerk darauf richten, dass die sehr spendenbereite Gruppe der über 70-Jährigen bedient und nicht überfordert wird. Aber natürlich ist auch diese Generation mit dem digitalen Wandel älter geworden und im digitalen Raum unterwegs. Deswegen sagen wir: Digitales Spendensammeln darf keine Hürde, sondern muss eine Erleichterung sein.

Es gibt auch viele neue Themenfelder, um zu spenden: angefangen von ganz lokalen Projekten bis hin zu einzelnen Kultur- und Bildungsprojekten. Und auch der Journalismus kämpft derzeit darum, als gemeinnützig anerkannt zu werden. Wie gelingt es Ihnen, neue Formen und Inhalte des Spendens an Ihren Dachverband zu binden?

Das gelingt dadurch, dass diese Organisationen und Initiativen ein eigenes Interesse daran haben, Mitglied zu werden, um nach gründlicher Prüfung unsere Spendenzertifikate zu erhalten. Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens geben wir auch Hilfestellung dazu, was es braucht, um überhaupt Mitglied bei uns zu werden. Die formalen Voraussetzungen sind nicht gering, weil wir externe Wirtschaftsprüfer haben, die sehr genau auf die Zahlen schauen. Ich glaube, dass solche Dach- und Lobbyverbände im Spendenwesen immer bedeutsamer werden, weil die Menschen sich darauf verlassen möchten, dass ihre Spende auch ankommt.

Spenden kann man nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Ehrenamtliches Engagement findet in Organisationen wie Ihren Mitgliedsvereinen, in der Kommunalpolitik, in sozialen und kulturellen Einrichtungen und in mehr als einer halben Million Vereine in Deutschland statt. Überall fehlen jedoch ehrenamtliche Kräfte. Wie gelingt es Ihnen, auch für diese Art Engagement zu werben?

Der Deutsche Spendenrat legt natürlich seinen Fokus auf die Verwendung von Geldmitteln. Aber wir sind uns dessen bewusst, dass dies nur ein Teil von bürgerschaftlichem Engagement insgesamt ist. Deshalb haben wir uns beispielsweise für unsere Jubiläumsveranstaltung zum 30. Jahrestag Professor Dr. Sebastian Braun von der Humboldt-Universität Berlin eingeladen, der über Wandel und Zukunft des Ehrenamtes spricht.

Die Advents- und Weihnachtszeit steht vor der Tür. Wie kann ich mich engagieren, wenn ich besonders in dieser Zeit Gutes für andere tun will?

Wenn Sie eine Spende tätigen möchten, dann sollten Sie in die Mitgliederliste des Deutschen Spendenrates schauen und sich für eine Organisation entscheiden. Sie können die Liste auf unserer Seite auch thematisch filtern – nach humanitärer Hilfe beispielsweise oder Natur- und Umweltschutz, Sport, Kultur und mehr. Wenn Sie ehrenamtlich tätig sein möchten, bietet sich gerade in der Advents- und Weihnachtszeit vieles an: Jedes Seniorenheim freut sich über Menschen, die für einen Nachmittag Weihnachtsgeschichten vorlesen, oder wenn ein Kinderchor vorbeikommt und Weihnachtslieder singt. Das kenne ich auch aus meiner eigenen Kindheit: Mit dem Kirchenchor waren wir viel in den Altersheimen und in Krankenhäusern unterwegs. Das hat mir als Kind viel Spaß gemacht und ich hatte das Gefühl, meine Zeit sinnvoll verbracht zu haben.


Nachfolgende INFO entstand in Zusammenarbeit mit der vom Deutschen Spendenrat e. V. beauftragten Consumer Panels Services GfK | Germany – (Gesellschaft für Konsumforschung)

  • Berliner und Brandenburger haben in diesem Jahr mehr gespendet als noch vor der Corona-Pandemie: 2019 spendeten sie im ersten Halbjahr 106 Millionen Euro, 2023 waren es im gleichen Zeitraum 120 Millionen Euro.
  • Auch die Zahl der spendenden Menschen in Berlin und Brandenburg stieg zwischen 2019 und 2023 um acht Prozent auf 826.000 im ersten Halbjahr an. Damit bewegt sich die Hauptstadtregion entgegen dem Bundestrend, der weniger Spenden und weniger Spender als noch 2019 verzeichnet.
  • Das Jahr 2023 kann bundesweit nicht an das Super-Spendenjahr 2022, das Jahr des Angriffs Russlands gegen die Ukraine, anknüpfen. Rund 5,7 Milliarden Euro spendeten die Deutschen im vergangenen Jahr, davon 38 Prozent für die Not- und Katastrophenhilfe.
  • Die aktuellsten Zahlen für den Zeitraum Januar – August 2023 zeigen, dass sich das Spendenverhalten der Deutschen nach Corona, nach der Ahrtal-Katastrophe und seit dem Beginn des Ukraine-Krieges wieder normalisiert und auf das Maß der Kalenderjahre 2017/2018/2019 zurückfindet.
  • Die stärksten Rückgänge hat dabei die Not- und Katastrophenhilfe zu verzeichnen, deren Einnahmen mit der Ahrtal-Katastrophe, den Erdbeben in Syrien und der Türkei und dem Ukraine-Konflikt zuletzt ungewöhnlich hoch ausfielen.
  • Die Spendeneinnahmen für den Zeitraum Jan. – August 2023 lagen bei insgesamt: 2,821 Mrd. €, das sind zwar 18 % weniger als im Vergleichszeitraum Januar – August 2022 (Ukraine-Krieg), aber nur 3 % weniger als im Kalenderjahr 2019.
  • Hoffnung für den Gesamtverlauf des Spendenjahres 2023 macht die isolierte Betrachtung des Monats August 2023, in dem 10 % mehr gespendet wurde als im August 2022. Dieser Vergleich ist insofern aussagekräftig, da in beiden Monaten, August 2022 und August 2023, keine „Sondereffekte“ aus Kriegen oder Naturkatastrophen zu berücksichtigen waren.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Wulff


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